Magna Mater by E. W. Heine

Magna Mater by E. W. Heine

Autor:E. W. Heine [Heine, E. W.]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
Tags: General, Fiction
ISBN: 9783641072513
Herausgeber: C. Bertelsmann Verlag
veröffentlicht: 2012-02-13T10:02:12.687000+00:00


22. KAPITEL

Die Religion ist ein Heilmittel, das schlimmer ist als die Krankheit, die es bekämpft«, sagten die Berater der Magna Mater, als man ihnen berichtete, auf Gemora gebe es immer mehr Menschen, die Zuflucht im Glauben suchten. Die Ärmsten seien davon überzeugt, die Kräfte der Natur ließen sich durch Gebet und Opfergaben beeinflussen.

»Lasst sie«, sagten die Berater, »die Gleichsetzung von Gott und Natur ist die eleganteste Lösung, Gott abzuschaffen.«

Sie gaben jedoch zu bedenken, dass der wiedererwachte Aberglaube zugleich ein gefährlicher Bazillus sei, um erneut dem alten Gotteswahn zu verfallen.

»Verwirrte Kinder«, meinte die Magna Mater.

Als die Sekte der verwirrten Kinder jedoch anschwoll, beschloss der Orden, dem Unfug ein Ende zu bereiten, nicht durch Gewalt, sondern durch Überzeugungskraft. Eine Gruppe von Ordensfrauen wurde aufgestellt, um die Spinner zur Vernunft zu bringen. Eine dieser Frauen war ich, wobei ich nicht weiß, wie ich zu dieser Ehre kam.

Wir reisten nach Gemora, um dort öffentliche Disputationen abzuhalten. Das erste Gespräch fand auf dem breiten Sandstrand im Westen der Insel statt. Alles, was Beine hatte, war herbeigeeilt. Sogar die Hunde von Gemora hatten sich schwanzwedelnd unter die Menge gemischt. Die Blühenden hatten ihren schönsten Kopfschmuck angelegt. Federkränze, bunte Schleifen und Blütenbänder flatterten im Wind. Für sie war das wie alles in ihrem Leben ein großer Spaß.

Zwei Tribünen aus Bambusstangen waren am Strand errichtet worden. Auf der einen hatten wir Ordensfrauen Platz genommen, auf der gegenüberliegenden hockten die Verwirrten. Alle anderen lagerten im warmen Sand. Da war ein Lärmen und Schnattern wie auf einem Brutplatz für Wildgänse.

»Seit Urzeiten fürchtet der Mensch sich vor den Naturgewalten«, begann eine von uns das Gespräch. »Flut, Feuer und Erdbeben werden über die Menschen hereinbrechen als Strafe Gottes für begangene Sünden, so predigten früher die Priester. Tut Buße, seid unbeirrbar im Glauben, und der Herr wird herrliche Wunder an euch vollbringen.«

»Ich liebe Wunder«, sagte ein Blühender mit einem Lorbeerkranz im Haar. »Gibt es ein größeres Wunder als die Welt um uns herum?«

Er erhielt zur Antwort: »Um die Natur zu lieben, braucht man nicht sentimental zu sein. Es reicht, dass man erkennt, wie abhängig wir von ihr sind.«

»Vielleicht sind wir sentimental«, erwiderte der Blühende, »aber gibt es Schöneres als das Gefühl des Unbekannten, Geheimnisvollen?«

»Das ist ein gefährlicher Weg«, hielten wir dagegen. »Aus Lügen, an die wir glauben, werden Wahrheiten, mit denen wir leben müssen. Glauben heißt Nichtwissen. Religion ist Flucht in eine Scheinwelt.«

Und der Knabe, dem man wie allen Blühenden die Reife nicht ansah, antwortete: »Ist letztendlich nicht alle wissenschaftliche Theorie vom Atom bis zum schwarzen Loch Scheinwelt? Und was ist so schlimm an unserer Scheinwelt?«

»Die Erfindung von schönem Schein und himmlischen Paradiesen wäre nicht schlimm, bezahlte man dafür nicht einen hohen Preis, nämlich die Vergewaltigung der Wirklichkeit und den Verlust der geistigen Gesundheit. Der Glaube liquidiert alles, was sich ihm widersetzt, vor allem die Vernunft und den kritischen Verstand.«

Eine Blühende hob abwehrend ihre Hand und widersprach mit lauter Stimme. »Haben wir nicht gelernt: Das Unbewusste ist das wahrhaft Lebendige? In dem Augenblick, in dem sich das bewusste Denken einmischt, atmest



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